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Kulturpolitik ist mehr als Kulturverwaltung

Von Kathy Riklin, Tages Anzeiger 5. Mai 2008

Kulturpolitik braucht neben Visionen auch klare Strukturen auf Bundesebene - und eine autonome Pro Helvetia für die gesamte Kulturförderung.

Ich wünsche mir mehr Kultur! Kreative, lebendige, aktive - auch freche und schräge Kultur der Marke Schweiz, Suisse, Svizzera, Svizra! Dazu soll und muss ein demokratisches Land wie die Schweiz die Rahmenbedingungen schaffen und die Freiräume bereitstellen. Dies fordert auch die CVP in ihrem Kulturpapier. Der Staat darf sich nicht aus der Verantwortung für Kultur, für unsere Kultur stehlen. Er muss seinen Beitrag zur Kulturförderung und -vermittlung leisten. Dies gehört zu seinen Grundaufgaben: Staatliche Kulturförderung ist ein Beitrag zum freiheitlichen demokratischen Diskurs.

Pius Knüsel, als Pro-Helvetia-Direktor sozusagen der eidgenössisch beauftragte Kulturförderer, stellt fest, dass das "intellektuelle Vakuum in eben jenem Moment einsetzte, als die staatliche Förderung der kritischen Künstler zu einem politischen Programm wurde". Dies lässt aufhorchen.

Nun werden im Rahmen der Arbeiten am Kulturförderungsgesetz die Leitplanken für die Schweizer Kulturpolitik der Zukunft gesetzt. Der vorliegende Gesetzesentwurf hat bei den Kulturschaffenden und in kulturinteressierten Kreisen eine allgemeine Unzufriedenheit ausgelöst. Was Bundesrat Pascal Couchepin und Amtsdirektor Jean-Frédéric Jauslin vorgelegt haben, ist nicht mehr als ein reines Verwaltungs(mechanik)gesetz. Eine Artikelauflistung ohne den Mut zum grossen Wurf! Im Gesetz wird zum einen fortgeschrieben, was in den letzten Jahren bundespolitische Realität war, zum anderen wird die Einzelförderung gekappt: Die - notabene wenigen - Mittel werden einer möglichst breiten Zahl von Künstlerinnen und Künstlern zugesprochen. "Mancher Beitrag ist bloss ein Trostgeld", und eine Ablehnung kann sogar juristische Folgen haben. Die Pro Helvetia arbeite daher nach dem Prinzip "Kleiner Beitrag, kleiner Fehler", schreibt Knüsel.

Die vorliegenden Gesetzesentwürfe atmen den Geist des Kulturverwalters. Keine Visionen, keine Leuchttürme! Exzellenz ist für den Bundesrat anscheinend - auch in der Kultur - nicht das Ziel. Widersprüche sind umso evidenter. Der Architekt lebt lieber in einem Altbau, der staatliche Kunstförderer erlebt bei "zeitgenössischer Kunst den Aha-Effekt, der genau fünf Sekunden anhält", provoziert Knüsel. Was läuft schief? Wo bleiben heute Schriftsteller wie Frisch und Dürrenmatt, Filmer wie Murer und Goretta? Es ist offensichtlich: Kunstförderung kann nicht wie die Subventionierung der Landwirtschaft funktionieren.

Und doch sind die Kulturschaffenden enorm empfindlich, wenn man es wagt, das Modell Pro Helvetia zu hinterfragen. Der Hirschhorn-Schock wirkt immer noch nach. Die vereinigte Kulturszene hatte sich im Dezember 2004 aufgebäumt und mit Hunderten von Schreiben protestiert, als der Ständerat das Pro-Helvetia-Budget um 1 Million Franken kürzte, weil die Pseudopinkelei im Centre Culturel Suisse (CCS) in Paris zeitlich genau auf die Budgetdebatte im Ständerat fiel. Es entbrannte eine Diskussion darüber, wie frei Kunst sein darf, welche der Staat unterstützt, und damit auch um die Freiheit der Pro Helvetia. Aus diesem Anlass der CVP Kulturfeindlichkeit zuzuschreiben, ist ungerecht und billig. Nüchtern betrachtet wäre es damals darum gegangen, über die verschiedenen Rollen zu diskutieren und daraus auch Lehren für die Zukunft zu ziehen. Aus meiner Sicht hat man diese Chance verpasst.

Die Freiheit der Kunst dagegen ist in einem eigenen Artikel der Bundesverfassung explizit gewährleistet (Artikel 21). Die Verfassung hält aber in Artikel 69, dem eigentlichen Kulturartikel, auch fest: "Für den Bereich der Kultur sind die Kantone zuständig." Der Bund kann nur in zwei Fällen tätig werden: Er kann bei gesamtschweizerischem Interesse kulturelle Bestrebungen unterstützen, und er kann Kunst und Musik fördern, vor allem im Bereich der Ausbildung.

Im Jahr 2002 tätigten Kantone, Gemeinden und Städte Kulturausgaben von rund 1,7 Milliarden, seither werden Zahlen aus Spargründen beim Bundesamt für Statistik nicht mehr erhoben. Pro Helvetia hat ein Jahresbudget von 33 Millionen Franken. Diese Relationen muss man vor Augen haben, wenn wir über die Kulturförderung von Pro Helvetia sprechen. Dies hat denn auch die CVP veranlasst, ein einziges Bundesgesetz für die Kulturförderung (KFG) zu verlangen. Das Pro-Helvetia-Gesetz, das sich in der jetzigen Form als reines Organisationsgesetz wie eine Hausordnung liest, soll im KFG integriert werden - das alte (und derzeit gültige) Pro-Helvetia Gesetz ging wenigstens noch von einem kulturpolitischen Auftrag aus. Ein einziges Gesetz erleichtert die Lesbarkeit und zeigt auch die gegenseitigen Verflechtungen auf - vor allem können so die Schnittstellen besser definiert werden. Das Jammern der Beitragsempfänger zeigt, dass es bereits zu einem Gewohnheitsrecht geworden ist, von Pro Helvetia unterstützt zu werden. 50 Prozent der rund 3000 Gesuche werden jährlich bewilligt - ist das wirklich das Ziel der Bundeskulturpolitik?

Zur Stärkung der Kultur auf Bundesebene setzt sich die CVP auch für eine neue Organisationsstruktur ein, die sämtliche politischen Kompetenzen an ein bundeseigenes Kultur-Kompetenzzentrum überträgt - die kulturellen an eine verwaltungsferne Stiftung. Heute ist häufig unklar, welche Bundesstelle oder welche Institution welche Tätigkeiten im Interesse der Kultur ausübt. Nebst dem Bundesamt für Kultur und der Pro Helvetia, welche beim Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) angesiedelt sind, befassen sich auch Präsenz Schweiz, das Kompetenzzentrum für Kulturaussenpolitik (KKA) und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) mit Kultur - alle drei beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) angesiedelt. Als so genannte Pentapartite treffen sie sich viermal jährlich zur Koordination - das Ergebnis ist eher mager. Kulturverwaltung als Programm? Nein danke!

Die politische Steuerung aller Kulturaufgaben soll an einer zentralen Stelle - im Bundesamt für Kultur - erfolgen: Sie ist das Scharnier zum Parlament. Die Kulturförderungstätigkeiten des Bundes hingegen sollten an eine unabhängige Instanz übertragen werden - ähnlich wie bei der Forschungsförderung mit dem Schweizerischen Nationalfonds. Eine neue Pro Helvetia soll mit klarem gesetzlichem Auftrag ausgestaltet sein und die Förderung und Vermittlung der Kultur übernehmen - auch des Filmes. Wie bei Bildung und Forschung ist auch hier die Unabhängigkeit ein zentrales Element. Ob sie am Schluss eine öffentlichrechtliche Stiftung oder eine Anstalt ist, ist eine Nebenfrage. Andere Stellen wie Präsenz Schweiz und das Kompetenzzentrum für Kulturaussenpolitik, welche ebenfalls mit Kultur arbeiten und Kulturfachpersonen beschäftigen, sollen die benötigten Kompetenzen bei dieser Stelle beziehen. Dies soll auch für die Tätigkeit der Kulturattachés gelten. Die Kompetenzen der Kulturpolitik des Bundes sollen somit an einer Stelle konzentriert und die Federführung geklärt sein: beim Bundesamt für Kultur. Genauso sollen die Kompetenzen für die Förderung und Vermittlung bei einer verwaltungsfernen Einheit sein, der neuen Pro Helvetia - ob für den Film eine eigene Stiftung zu gründen ist, muss noch geklärt werden. Dies fördert die Transparenz, hilft, Doppelspurigkeiten verhindern, und schafft Synergien.

Bei diesem Modell ergibt auch der von den Kulturorganisationen geforderte Kulturrat Sinn. Er findet unsere Unterstützung: als ein den Bundesrat beratendes Gremium, analog dem Wissenschafts- und Technologierat. Die CVP setzt sich aber auch für Werkbeiträge durch den Bund ein, da bildende Künstler, Schriftsteller und Musiker national gefördert werden sollen - ähnlich den Schweizer Forschenden. Sie sollen nicht abhängig sein von ihrem Schaffensort und vom Goodwill der lokalen Gemeinde oder des Kantons. Kulturförderung ist für uns zu wichtig, als dass man sie in die Hände von Bürokraten legt, wie dies Herrn Couchepin vorschwebt. Die von uns geforderte Strukturbereinigung bewirkt eine Professionalisierung der Kulturpolitik des Bundes und erleichtert das Herauskristallisieren einer klaren Vorstellung über die Ziele der Kulturpolitik. Damit sich Kultur entfalten kann.

Die Autorin ist Nationalrätin der CVP Zürich und ehemalige Präsidentin der Kommission Wissenschaft, Bildung und Kultur.