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The Sound of Insects

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Internet:
Peter Liechti BERICHT EINER MUMIE

Radio DRS2 Reflexe: Wie dokumentiere ich das Unzeigbare?

art-tv: Peter Liechti

outwnow.ch


Siehe auch:
Visions du Réel - Interview avec Peter Liechti (video)

ISAN: 0000-0003-AD0E-0000-H-0000-0000-N

Europäischer Filmpreis 2009 Bester Dokumentarfilm
Schweizer Filmpreis 2010: Beste Filmmusik
Visions du Réel Nyon 2009
Zürcher Filmpreis 2009

The Sound of Insects (Das Summen der Insekten)

CH 2008 80'

Regie: Peter Liechti
Drehbuch: Peter Liechti, Masahiko Shimada
Kamera: Peter Liechti
Ton: Balthasar Jucker
Schnitt: Tania Stöcklin
Musik: Norbert Möslang
Produktion: Peter Liechti

Peter Liechti 2008 80'


 
Tiefer Winter. In einer verfallenen Hütte im abgelegensten Waldstrich des Landes findet der Jäger S. die Mumie eines etwa 40-jährigen Mannes. Aufgrund der minuziösen Aufzeichnungen des Toten stellt sich heraus, dass der Mann im vergangenen Sommer Selbstmord durch Verhungern begangen hatte. Während der Bericht des Selbstmörders im nüchternen Tonfall eines Polizei-Rapports verlesen wird, lässt uns der Film die letzten 62 Tage des Unbekannten im Wald aus einer imaginären "Subjektive" nacherleben. Die eindringliche Sachlichkeit, mit welcher X seinen einsamen Leidensweg bis hin zur körperlichen Auflösung schildert, kontrastiert mit der vegetativen Gleichgültigkeit der Natur rundum und einer assoziativen Bilderreise zurück in die Welt seiner urbanen Herkunft und des Traums. Der Kampf zwischen seiner physischen Vitalität und dem Entschluss, diesen körperlichen Widerstand mit aller mentalen Kraft zu brechen und seinem Leben ein Ende zu setzen, erzeugt eine schier unerträgliche Spannung. Zunehmend geraten wir in den Sog seiner fiebrigen Gedanken und Fantasien, und obwohl kein Motiv zu erkennen ist für sein "sinnloses" Tun, identifizieren wir uns mehr und mehr mit dem seltsamen Lebens-Verweigerer... Ein stilles Drama in 62 Akten aus der grünen Mitte des Waldes.

BERICHT EINER MUMIE ist die dokumentarische Annäherung an einen fiktionalen Text, welcher wiederum auf einer wahren Begebenheit beruht. Ein filmisches Manifest für das Leben - herausgefordert durch den radikalen Verzicht darauf

Der Regisseur zum Film

Anfangs 2005 kam ich per Zufall in den Besitz einer CD mit dem seltsamen Titel MY DEAR MUMMY einer Verbindung der Musik von Otomo Yoshihide (Tokyo) mit dem dramatischen Monolog "miira ni narumade" von Shimada Masahiko (Kawasaki City). Schon beim ersten Anhören hat mich diese CD ergriffen, und ich war elektrisiert von der beunruhigenden Spannung, die in dem einfachen Bericht eines Selbstmörders zum Ausdruck kommt. Seither hat mich diese Geschichte nicht mehr losgelassen...

Was mich von Anfang an fasziniert hat an dieser japanischen Novelle ist die verstörende Sachlichkeit, mit der hier von einer überaus traurigen und in vielerlei Hinsicht auch fürchterlichen Begebenheit berichtet wird. Leben und Tod sind in der Wertigkeit schlicht gleichgesetzt, wie im Protokoll eines wissenschaftlichen Selbstversuchs. Der Protagonist entzieht sich in völlige Anonymität. Da ist kein Lamento, kein Selbstmitleid, keine Sentimentalität, im Gegenteil, manchmal scheint gar eine unterschwellige (Selbst-)Ironie durch.

Mit seinem "dramatischen Monolog" stellt Shimada die klare Forderung, selber eine Haltung einzunehmen gegenüber der einmaligen Möglichkeit des Lebens. Die Abwesenheit jeglicher Stellungsnahme durch den Autor bietet keinerlei Trost oder Versöhnung, sondern überlässt die Antworten auf die irritierenden Fragen ganz allein dem Zuschauer. Darin liegt für mich die tiefere Provokation dieser Geschichte; sie weckt nicht nur Mitgefühl, sondern vor allem - ohne jedes Moralisieren - das Bedürfnis, zu widersprechen und den Wert des eigenen Menschseins zu behaupten. Und "Menschsein" heisst vor allem Ausgesetztsein - dem Leben, dem Tod, dem Schicksal, dem Ungewissen... und sich damit irgendwie abzufinden oder allenfalls gar anzufreunden. Dieser aufregenden Rätselhaftigkeit unserer Existenz mit filmischen Mitteln Ausdruck zu verleihen, ist mir die spannendste Herausforderung an diesem Projekt.

Shimada selbst sagt zu seinem Thema, der Suizid habe in Ostasien nie soziale Ausgrenzung oder gar Sünde bedeutet, sondern sei als Ritual seit je in die Kultur integriert. Er erzählt auch von den aktuellsten Formen ritueller Selbstmorde in Japan, von jungen Menschen, welche ihre Absichten im Internet publizieren und auf diesem Weg GenossInnen suchen, um mit ihnen gemeinsam Selbstmord zu begehen. Dabei spielten nicht nur soziale oder private Probleme eine Rolle, sondern eine völlig neue Form existentiellen Überdrusses, eine Art "emotionaler Unterforderung".

Wo das Leben keine Möglichkeit zur Verwirklichung mehr bietet, zeigt sich vielleicht im Tod die Erfüllung. Dabei geht es auch um das uralte Bedürfnis des Menschen nach Anerkennung in seiner Gesellschaft, nach starker Empfindung und Höchstleistung, ja Heroismus (die Samurai-Gesellschaft) - den Wunsch, einer weitgehend anonymen Existenz wenigstens ein sehr persönliches Ende zu bereiten. Gerade der Selbstmord durch Verhungern sei eine höchst persönliche Todesart, schreibt der Protagonist in sein Tagebuch, weil man lange Zeit nur mit sich beschäftigt ist.So wie Durst im übertragenen Sinn das Bedürfnis nach intellektuellem Gefordertsein, den Wissens-Durst meint, so steht Hunger für den seelischen, den emotionalen Bereich - Erlebnis-Hunger, Liebes-Hunger.

Wenn man nicht mehr gebraucht wird, so heisst das auch, man braucht sich selbst nicht mehr. Man will sich loswerden. Der Körper, das ganze vegetative System ist aber unheimlich vital; das Niederkämpfen der eigenen Natur ist ein sehr viel härterer Kampf, als X sich vorgestellt hat...

Durch die Intensität des körperlichen Er-Lebens kommt sich X tatsächlich selbst sehr nahe; fast könnte man von Frieden sprechen, den er auf diese Weise mit sich findet. Man spürt, dass für ihn die Erlösung nur noch darin liegen kann, seinen Weg bis zum Ende zu gehen; deshalb ist man auch bereit, ihn bis dahin zu begleiten. "Die Zeit ist reif"... Ohne Dramatik, mehr intuitiv, folgt er einfach "dem Ruf" - fast wie ein Tier, das sich zurückzieht zum Sterben.So scheint X denn auch eine Art Befreiung aus dem Gefängnis seiner Einsamkeit zu finden, wenn er schreibt: Irgendjemand ist gekommen...

Der Akt des unbekannten Toten stellt schliesslich auch eine Form radikalster Verweigerung dar: Totaler Rückzug aus dem Getriebe der Leistungs-Gesellschaft, die vollkommene Verweigerung des Konsumierens, des Mitmachens, der Hetzerei... in diesem heutigen Leben. Die unterschwellige Kritik des Originaltexts am zeitgenössischen Konsumismus ist evident. Der Autor schreibt am Schluss seiner Geschichte:"I dedicate this to all the people on a hunger strike or fasting and to the anorexics of the world..."

Peter Liechti

"Die aus durchsichtigen Planen bestehende Hütte wird wie ein verwunschenes Haus gefilmt, die Kamera beobachtet, bewegt sich, ändert den Blickwinkel, fängt die unterschiedlichen Phasen des Lichts ein, die unendlich bewegte Natur, in deren Gedächtnis sich die Spur des mittlerweile verschwundenen Mannes zweifellos eingegraben hat. Dabei geht es nicht um einen subjektiven Blick, der den Zuschauer sich an die Stelle des Mannes versetzen liesse, sondern um die Suche nach der metaphysischen Dimension dieser Geschichte.
Was vermag das Kino der Menschen gegenüber einem Leben auszurichten, das sich inmitten einer wuchernden Natur aufzehrte? Mann muss diesem Wald lauschen, ihn betrachten, und er erlangt mythologischen Charakter. Ein Schwall von Bildern steigt auf, Erinnerungsfetzen, Gesichter, Gestalten, Gespenster aus einer anderen Welt – wie jener Schimmel –, die von den Niederlagen des Lebens zeugen. Peter Liechti hat sich für seinen Film von diesem meditativen und halluzinierten Raum inspirieren lassen. Er will uns an seinem Glauben teilhaben lassen, dass das Kino jenes herrliche magische Band zwischen den Lebenden und den Toten sei."
art-tv

Es ist der grosseTopos der Abwesenheit, derPeter Liechti dazu veranlasst hat, dieGeschichte eines vierzigjährigen Mannes zuerzählen, der sich tief in einenWald zurückgezogenhat, um sich dort buchstäblich zuTode zu hungern. Dabei wirkt dieser Menschdurch sein Tagebuch, das neben seinerLeiche gefunden wurde und in Auszügen imOff vorgelesen wird, seltsam präsent.Lauschen wir also den Stimmen von PeterMettler in der englischen und von AlexanderTschernek in der deutschen Fassung, wie sieverhalten die hochphilosophischen Prosatextedieses selbstgewählten Kreuzwegsvortragen. Dieser Mann hat in Japan wirklichgelebt, wo der Schriftsteller ShimadaMasahiko aus seinem Tagebuch eineErzählung destilliert hat, die Peter Liechti zurGrundlage für seinen Film genommen hat.Man stelle sich eine Symphonie in Ton undBild vor, die den Alltag dieses Mannes nachzeichnet.
Dem Wald wohnt der Zauber einerstets in Bewegung befindlichen Welt inne,gepeitscht von Wind und Wetter, sonnenverbranntund vonTausenden von Vögeln undInsekten bewohnt, die ein schrecklichlebendiges Gemälde erstehen lassen. Dieaus durchsichtigen Planen bestehende Hüttewird wie ein verwunschenes Haus gefilmt,die Kamera beobachtet, bewegt sich, ändertden Blickwinkel, fängt die unterschiedlichenPhasen des Lichts ein, die unendlich bewegteNatur, in deren Gedächtnis sich die Spur desmittlerweile verschwundenen Manneszweifellos eingegraben hat. Dabei geht esnicht um einen subjektiven Blick, der denZuschauer sich an die Stelle des Mannes versetzenliesse, sondern um die Suche nachder metaphysischen Dimension dieserGeschichte. Was vermag das Kino derMenschen gegenüber einem Leben auszurichten,das sich inmitten einerwuchernden Natur aufzehrte?
Man muss diesem Wald lauschen, ihnbetrachten, und er erlangt mythologischenCharakter. Ein Schwall von Bildern steigt auf,Erinnerungsfetzen, Gesichter, Gestalten,Gespenster aus einer anderen Welt – wiejener Schimmel –, die von den Niederlagendes Lebens zeugen. Peter Liechti hat sich fürseinen Film von diesem meditativen undhalluzinierten Raum inspirieren lassen. Erwill uns an seinem Glauben teilhaben lassen,dass das Kino jenes herrliche magische Bandzwischen den Lebenden und den Toten sei.
Jean Perret, Visions du Réel 2009