CH 2002 52'
Regie: Fernand Melgar
Kamera: Camille Cottagnoud, Aldo Mugnier, Fernand Melgar
Ton: Blaise Gabioud, Luc Yersin, Maurice Engler
Schnitt: Fernand Melgar
Musik: Dalida, Patrick Juvet
Produktion: Florence Adam
Pascal sucht die Strumpfhosen, die ihm am besten stehen, dann schminkt er sich, wobei ihm seine Ehefrau Carole mit Rat zur Seite steht. Über ein Jahr hinweg begleitet Fernand Melgar Pascal und Carole, er filmt Momente der Vertrautheit und alltägliche Szenen aus dem Leben dieses Paars, das dem Blick der Anderen trotzt. In REMUE-MENAGE bringt der unvoreingenommene Blick der Kamera Zweideutigkeiten zu Tage und lässt dabei Fragen allmählich an die Oberfläche kommen.
Sturm im Wasserglas
Von Nani Fux
"Kannst du dir das vorstellen: Papa im Bikini?" fragt der Kleine seinen Bruder. Und dann kichern die beiden Jungen um die Wette.
Pascal und Carole führen eine liebevolle Ehe, haben vier Kinder und leben in einem kleinen Dorf in der französischen Schweiz. Pascal arbeitet als Autoschlosser. Bei der Geburt seiner Tochter ist er dabei: Alles ganz normal. Bis auf eine Kleinigkeit: Pascal trägt gern Frauenkleider. Und so stöckelt er manchmal im Minirock durch den Ort, die langen Nägel rot lackiert. Die Kinder finden es eher cool, dass der Papa schrille Klamotten trägt und trotzdem so starke Muckies hat. Seine Frau hat die Vorliebe ihres Mannes akzeptiert, berät ihn kichernd bei der Kleiderauswahl. Nur manchmal verzweifelt sie an den Reaktionen der Nachbarn. Daran, dass einige nicht kommen, wenn sie sie zu einer Party einladen. Im Ort gibt es so manchen, der ein Problem mit der Familie hat. Allen voran die Mutter von Pascal, die sich um das Wohlergehen der Enkelkinder sorgt. Kurzerhand hat sie die Familie ihres Sohnes angezeigt. Und so haben Pascal und Carole nun eine Untersuchung am Hals, ob denn der "unnatürliche" Lebenswandel des Paares den Kindern schadet.
"Ich habe mich sofort in die beiden verliebt", erzählt Fernand Melgar. Ein Jahr lang, von der Geburt ihrer Tochter bis zu deren erstem Geburtstag, begleitet der Regisseur die Familie durch den Alltag. Nach und nach kippt die Perspektive: Erstaunlich ist nicht mehr Pascal, der mit seinen rotlackierten Fingern Automotoren wuchtet, sondern seine Umwelt, die daran Anstoß nimmt.Gemeinsam mit seiner Frau kämpft er um das Recht, sein eigenes Leben zu führen, wirbt um Verständnis oder wenigstens um Respekt. Und so zieht zur Weihnachtszeit neben Santa Claus auch eine Weihnachtsfrau durch die Straßen des Städtchens. Statt des Bartes trägt die Weihnachtsfrau knallroten Lippenstift. Die Kinder haben ihren Spaß an den Geschenken, bis ein Ordnungshüter dem Treiben ein Ende macht. Anweisung von Oben.
Ein anderes Mal tritt das Paar in einer französischen Talkshow auf. Pascal in einem eleganten Kleid, erzählt freimütig von der Normalität ihrer Beziehung. Als die Sendung ausgestrahlt wird, läuft in der Dorfkneipe der Fernseher. Pascal hält eine kleine Ansprache, sucht anschließend das Gespräch mit den Gästen.In solchen Sequenzen zeigt sich das eigentlich Außergewöhnliche dieser Geschichte: die unerschütterliche Freundlichkeit dieses Mannes, seine Toleranz und seine Kraft. Was Pascal wiederfahren ist, wäre genug, um an den Menschen zu verzweifeln. Seine Mutter, die ihn einst ins Heim abschob und ihm nun die Fähigkeit abspricht, seinen Kindern ein guter Vater zu sein. Die erste Ehe mit einer Frau, die mit seinem eigenen Vater ein Kind gezeugt hat. Die Ablehnung seiner Mitbürger. Mit Pascal lernen wir einen außergewöhnlichen Menschen kennen, eine starke Seele. Es ist, als hätte er sich einfach noch einmal ganz neu erfunden, um die Vergangenheit abzuschütteln. Gerüstet mit Lippenstift und Wimperntusche gelingt es ihm, trotz der tiefen Verletzungen nicht bitter zu werden. Und er gibt nicht auf.