CH 2005 55'
Regie: Jacqueline Veuve
Drehbuch: Jacqueline Veuve, Anne Pellaton
Kamera: Peter Guyer
Ton: Blaise Gabioud, Benedikt Frutiger
Schnitt: Loredana Cristelli
Lucienne Schnegg ist eine kleine Frau voller Energie: Mit 80 Jahren leitet sie immer noch das Kino 'Capitole'. Sie ist die eigentliche Seele des Kinos: hier begann sie 1949 als Sekretärin, und später hat es ihr der Besitzer vererbt. Sie ist sowohl Kassiererin, Putzfrau und Direktorin, und sie erzählt uns die Geschichte ihres Kinos: des schönsten, des grössten und ältesten in Lausanne. In den Nachkriegsjahren waren 25 Leute hier beschäftigt, davon 6 Platzanweiser in Uniform, und in Scharen kamen die Besucher, um Filme wie "Der längste Tag" zu sehen.
Filmausschnitte, Poster, Fotos zeugen von einer anderen Epoche, und etwas vom geheimnisvollen Duft der Stars liegt noch in der Luft, wenn die kleine Dame von Audrey Hepburn, Roger Moore, der Königin von Spanien spricht und uns Anekdoten erzählt, die sich im prächtigen Saal abgespielt haben. Heute ist das 'Capitole' nicht mehr rentabel, die Verleiher geben die wichtigen Filme an die Multiplex-Kinos. Das Ende des 'Capitole' scheint vorprogrammiert; doch immer noch eilt die kleine grosse Dame heiter und geschäftig durch die Gänge ...
»Seit bald 60 Jahren führt Lucienne Schnegg (81) das legendäre Lausanner Kino (Capitole) im Alleingang. Porträts von ehemaligen Filmgrössen bezeugen, dass im "Capitole" schon die grossen Klassiker der 40erbis 70er-Jahre über die erste Panorama-Leinwand der Schweiz liefen. "Der längste Tag" war vier Wochen lang ausverkauft", erinnert sich die 81-Jährige. Absoluter Rekord war 1982 Steven Spielbergs "E.T.". Bei 84'649 Eintritten spielte er 762'578 Franken ein.Von solchen Einnahmen kann die betagte Südjurassierin nur noch träumen: Das letzte Mal war der Saal 1998 mit "Die Maske des Zorro" ausverkauft.Schnegg hat es heute schwer, wenn sie Kassenschlager ins "Capitole" holen will: "Dann bekomme ich als Einzelgängerin die unbarmherzige Macht der Monopole zu spüren."
Doch hartnäckig verteidigt Lucienne Schnegg ihr Kino gegen die geballte Macht der Multiplex. Der Saal mit seinen 900 Plätzen ist ihr Leben. Sie bedient die Kasse, zieht die farbigen Coupons aus dem Billettautomaten Baujahr 1959. Dann hastet sie trotz schlimmer Kniearthrose ins Untergeschoss, reguliert die 30 Jahre alte Dampfheizung auf angenehme Saaltemperatur. Wieder hoch die Treppen, Vorhänge schliessen. In der Pause verkauft sie Glace.
Die Lausanner Filmschaffende Jacqueline Veuve (76) hat Lucienne Schnegg den 55-minütigen Dokumentarfilm LA PETITE DAME DU CAPITOLE gewidmet. Er läuft jetzt in der Romandie. "Leider aber nicht in meinem Kino, da es nicht mit Video ausgerüstet ist", bedauert Kino-Pionierin Schnegg und beteuert: "Ich werde bis zum letzten Atemzug mein Capitole weiterführen. Dies bin ich meinen treuen Kunden schuldig.»
Fredy Herren, Blick
Noch gibt es sie, die Magie des Kinos.(...) Wir sehen die achtzigjährige Lausanner Kinobesitzerin Lucienne Schnegg mit Energie und viel Charme als letzte Mohikanerin gegen die Multiplex-Haie kämpfen. Die Kamera folgt der kleinen alten Dame mit fast zärtlicher Behutsamkeit auf den Routinegängen durch ihr Capitole, das grösste, schönste und älteste Kino in Lausanne, und sie erzählt von den goldenen Zeiten, als es noch kein Fernsehen gab und die Menschen in Scharen ins Kino gingen. Diese Zeiten sind wohl für immer vorbei. Doch die Magie des Kinos siegt hoffentlich trotzdem immer wieder über die Macht des Marktes, gerade in Solothurn.
Nina Seiler, Die Wochenzeitung