Chronique vigneronne (Winzerchronik)
CH 1999 84'
Regie: Jacqueline Veuve
Drehbuch: Jacqueline Veuve
Kamera: Hugues Ryffel
Ton: Fred Kohler, Luc Yersin, Philippe Combes, Michel Casang
Schnitt: Fernand Melgar
Musik: Gilles Abravanel
Produktion: PCT Cinéma Télévision
Pass:Chronique vigneronne (F)
540p Français UT -
Pass:Chronique vigneronne (D)
540p Français UT Deutsch
Pass:Chronique vigneronne (E)
540p Français UT English
Wie macht man aus Trauben Wein? Im Rhythmus der vier Jahreszeiten eines Weinbaujahres schildert der Film die Arbeit, die Sorgen und Freuden einer Winzer- und Küferfamilie, der Familie Potterat in Lavaux.
Drei Generationen treffen aufeinander, arbeiten zusammen und pflegen die Tradition. Die Technik hat sich entwickelt, neue Erkenntnisse wurden gewonnen, doch in der Region von Lavaux verunmöglicht die Kleinheit der Parzellen ein Übermass an Mechanisierung. Die Liebe zur schönen Arbeit kennzeichnet diese «Weingärtner», welche die schönen Weintrauben bewundern und es lieben, die Früchte ihrer Arbeit zu betrachten und anzufassen.
Mit dem Blick einer Ethnologin beschreibt Jacqueline Veuve auf treffende und dichte Art die Arbeit im Weinberg und im Keller sowie den Alltag der Familie Potterat in deren Dorf.
Die Filmemacherin hat sich nicht dazu verleiten lassen, uns ein Hirtengedicht zu präsentieren, trotz der wunderschönen Landschaft. Eine moderne Welt hält Einzug, die Potterat-Söhne haben die Landw. Schule in Changins absolviert, die Zeiten ändern sich, es wird vom Helikopter aus bewässert.
Antoine Duplan, L'Hebdo
Die Nähe von Arbeit und Familie, von Produktion und Reproduktion ist vielleicht das archaischste Moment dieses Berufsporträts. Eine Qualität, die zu zeigen Jacqueline Veuves Anliegen ist, ganz ohne Pathos. Im Gegenteil: Ihr filmischer Gestus bleibt sehr distanziert. Dazu gehört der konsequente Umgang mit dem Off-Ton, Kommentare gibt es keine. Die ProtagonistInnen erklären ihre Welt ganz ohne Gegenfrage - da fühlt man sich als ZuschauerIn manchmal ein bisschen allein gelassen. Andererseits ermöglicht diese Art der Selbstdarstellung Einblick in eine fast in sich geschlossene Welt, die auf einem sehr patriotischen Selbstverständnis beruht. Dazu gehört die Ökologie nicht unbedingt, aber der Männerchor und die Feuerwehr auf jeden Fall.
Catherine Silberschmidt, CINEMA
Epesse Grand Crû
CHRONIQUE VIGNERONNE heisst Jacqueline Veuves neuer Film in Analogie zu ihren vorangegangenen Chroniken ländlicher Lebensart, und er mundet wie eine gute Spätlese: Ein halbes Dutzend Bouquets zu einer ausgewogenen Komposition verwoben, dabei leicht, beinahe prickelnd. Die handwerkliche Meisterschaft, welche der Film über das 8oo Jahre alte Gewerbe an den terrassierten Steilküsten des Genfersees feiert, hat die 69-jährige Waadtländer Regisseurin mittlerweile in ihrem Metier erlangt.
Veuves dramaturgisches Skelett ist, naheliegenderweise, der Jahresverlauf einsetzend im Vorfrühling, da alte Rebstöcke ersetzt werden, übergehend in das, frostbedrohte Keimen der neuen Triebe und die aufwändige Pflege der Sommerreben, mündend in die Weinlese mit ihren archaischen und modernen Techniken, den Degustationen und Festen. jede Menge Wissenswertes erfährt man dabei über die Finessen des Weinbaus, alles in höchster Anschaulichkeit für Letzteres garantiert einmal mehr der Westschweizer Spitzenkameramann Hugues Ryffel.Bei allem Nutzwert ist CHRONIQUE VIGNERONNE aber kein Lehrfilm geworden. Hierfür sorgen vor allem elegant mitlaufenden Porträts des rustikalen Menschenschlags der Epesse-Gegend, der seine Tätigkeiten nur facettenweise erläutert und von der Regisseurin eher auf das aussterbende archaisch-bäuerliche Leben mit der Natur und dem Jahreslauf hin befragt worden ist.Natürlich ist das letztlich alles sehr, sehr bukolisch. Veuve erlaubt sich auch leitmotivische Aufnahmen der Genferseelandschaft, die in ihrer Pracht schon beinahe unverschämt sind. Doch bricht ein feiner, warmherziger Humor immer Wieder das Pathos. Umwerfend in Bild und Dramaturgie etwa die lokale Feuerwehrübung, bei welcher einer wildwüchsigen Wiese ein einigermassen bedenklicher Schaumteppich appliziert wird. Perfekt die Schlusspointe der heroischen Unwetterbekämpfung, wenn einer der beteiligten Männer resümiert, dass Hagelraketen vermutlich wirkungslos seien, aber wenigstens das Gefühl vermittelten, etwas zu tun. In solchen Details wie im Ganzen zeigt sich die Qualität, die diese rückhaltlose Schwelgerei im Schönen und Urtümlichen vor zu hohem Zuckergehalt bewahrt: ADVC Appellation Domaine Veuve Contrôlée.
Andreas Furler, Tages-Anzeiger
Kritik von Christoph Egger
Jacqueline Veuve, die bedeutendste Cineastin gewiss der Romandie und mit Reni Mertens der Schweiz tout court, hat im Verlauf eines Vierteljahrhunderts ein uvre geschaffen, das nur deshalb nicht nach Gebühr und Verdienst bekannt ist, weil die ausgebildete Ethnologin vor, allem im dokumentarischen Bereich gearbeitet hat. Ohne zu zögern, wendet sie sich aber auch der Fiktion zu, wenn ihr das vom Stoff her geboten erscheint. Ihre jüngste Arbeit, CHRONIQUE VIGNERONNE, war der vielbeklatschte Eröffnungsfilm des diesjährigen Filmfestivals Locarno; aus Anlass des Abschlusses der Fête des vignerons morgen Sonntag widmen die Télévision Suisse Romande und Arte dem Waadtländer Winzerfest einen ganzen Themenabend, der mit dieser Koproduktion der beiden Sender eröffnet wird.Bewusst spielt der Titel auf eines ihrer dokumentarischen Hauptwerke an, auf CHRONIQUE PAYSANNE EN GRUYERE (1990). Nun besitzt die «Winzerchronik» vielleicht nicht ganz den weiten Atem und genauen Blick jener «Summe» ihrer Methoden und Erfahrungen bei der Darstellung menschlicher Arbeit und Vermittlung volkskundlicher Zusammenhänge. Aber wiederum sehen wir hier jenes Prinzip an der Arbeit, das zwar Menschen aus Fleisch und Blut zeigt, sie jedoch nie aufs «Persönliche» reduziert, ohne dieses freilich auszusparen; Privates allerdings gehört nicht hierher. Immer sind diese Männer und Frauen, deren Namen wir beiläufig erfahren, auch als Träger von Funktionen und Darsteller von Rollen zu sehen: als Berufsleute und Pensionierte, als Arbeitgeber und Mitarbeiter, als Ehepartner und Eltern.
Zu sehen sind sie aber auch und hiermit erst erhält die «Chronik» ihren Sinn in der Landschaft und im Wechsel der Jahreszeiten, diesen Insignien bäuerlicher Existenz. Die Landschaft, im nächsten Umfeld fast ganz das Ergebnis menschlichen Eingreifens und Gestaltens, wird, über die unmittelbare Beschaffenheit der Böden und die Besonderheiten des Mikroklimas hinaus, das etwa im Weinberg die Anlage von kleinen Gemüsegärten erlaubt, zu derjenigen des Lavaux, das sich wiederum öffnet zu derjenigen des Leman-Beckens. Hugues Ryffel, Chefkameramann der besten Filme Jacqueline Veuves, beschwört und feiert in seinen Bildern ebenso den lichten, weiten Raum, den die Berge kaum zu begrenzen scheinen, wie er die jähen Wechsel des Lichts registriert, das die Seefläche bald in flirrende, gleissende Partikeln auflöst bald in schimmernden Garben aus einem Fenster in der finsteren Wolkenwand niederstürzt.
Das Jahr des Winzers beginnt im Herbst, heisst es einmal, und entsprechend setzt der Film ein mit dem Blick vom See, vom Deck eines blendendweissen Schiffs auf die in intensiven Braun und Ockertönen leuchtenden Terrassenstufen, die sich von unendlich hoch oben in wahrhaft atemberaubenden Kaskaden bis zum Ufer hinunter staffeln. Wir hören dem alten Winzer zu, der bewundernd vom tollkühnen Mut der Vorfahren spricht, die es gewagt haben, an solcher Exposition den Wald zu roden und Weinberge anzulegen. Er hat seine Rebberge vor vielen Jahren schon seinen beiden Söhnen übergeben, und wenn er zuletzt sagt, dass er heute kein Winzer mehr sein möchte, zu komplex, zu technisch geworden sei der Weinbau, so stehen diese Worte wohl nicht von ungefähr am Schluss des Films.Dennoch und trotz den etwas wehmütigen Akkordeonklängen, die die Bilder umwehen, hat Jacqueline Veuve alles andere als einen nostalgischen Film gemacht. Mit Interesse verfolgt man nicht nur all die Handgriffe und Arbeiten, die draussen anfallen, bis hin zu den Vorkehrungen gegen Frost Hagelschlag, Vogel- und Touristenfrass. Deutlich wird, dass im Unterschied zu «früher» eben gerade die viel genauere önologische Arbeit im Keller zu einer signifikanten Qualitätssteigerung geführt hat. Bemerkenswert auch die Aussagen der Frau des einen der beiden Brüder Potterat der ein Archäologiestudium absolviert hat -, dass der Weinbau heute längst nicht mehr die ausschliessliche Domäne der Männer sei. Und dass hier Tradition weiterlebt, wird nicht nur an der über hundertjährigen Kelter deutlich, sondern ebenso an der Oberzeugung, dass man das eigene Produkt nur dann guten Gewissens verkaufen möge, wenn man auch stolz darauf sein könne.
Christoph Egger, Neue Zürcher Zeitung