Telling Strings
CH 2007 59'
Regie: Anne-Marie Haller
Drehbuch: Anne-Marie Haller, Kamilya Jubran
Kamera: Hansueli Schenkel, Filip Zumbrunn
Ton: Luc Yersin
Schnitt: Maya Schmid
Musik: Kamilya Jubran, Werner Hasler, Khaled Jubran, Rabea Jubran
Produktion: Balzli & Fahrer GmbH
Nach der Vertreibung der Palästinenser und der Errichtung des Staates Israel 1948, bleibtder junge Palästinenser Elias Jubran in seinem Geburtsort. Doch aufgrund der politischenSituation lebt er mit seiner Familie sehr isoliert. Die Musik hilft ihm dabei, diese Isolation zuüberwinden und wird zu einem Ausweg.
Der Film zeigt seine Familie heute, beinahe 60 Jahre später. Seine Kinder, alle vier in dieser politischund musikalisch geprägten Umgebung aufgewachsen, bleiben auf die unterschiedlichsteArt und Weise mit der Musik verbunden. Über die Kinder öffnen sich ganz verschiedene Fensterzur Welt: zu den von Palästinensern besiedelten Gebieten in Israel, nach Jerusalem und nachParis. Mit diesem Dokumentarfilm zeigt Anne-Marie Haller ein Kräftefeld von Musik und Politikin einer der politisch brisantesten Regionen der Erde. Ein Musikfilm, der vor allem von der Nähezu den Personen lebt und durch ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe genährt wird.
«Kamilya Jubran sucht den musikalisch adäquaten Ausdruck für ihre Sicht auf die Welt undstellt das arabische Lied und die zeitgenössische arabische Dichtkunst in neue Kontexte.Künstlerische Kompromisse mag sie nicht.»
Thomas Burkhalter, Musikjournalist, norient.com
«Im laufe der Jahre habe ich viele starke Singstimmen gehört, aus verschiedenen Kulturen.Kamilya Jubran ist eine der stärksten Stimmen. Eine Weltklassemusikerin und eine grossePersönlichkeit.»
Kjell Keller, Musikredaktor Schweizer Radio, DRS2
«Der Film zeigt, wie stark Musik ein Teilkultureller Identitätsfindung sein kann.Dies ist ein gewichtiges Statement in einerZeit, in der Musik allzu oft zum Entertainment-Artikel degradiert wird und einesehr persönliche und deshalb besondersaufschlussreiche Auseinandersetzung mitdem Konflikt im Nahen Osten.»
Thomas Beck, Redaktionsleiter Schweizer Fernsehen
"Anne-Marie Haller bemüht sich, nicht in erster Linie die bekannten Fronten und Feindbilder darzustellen- sowenig wie sie die klassische arabische Musik gegen die westliche ausspielt. Die Qualität des Filmes zeigt sich darin, dass sie mehr den Absurditäten und Widersprüchen nachspürt. So spricht Vater Elias Jubran zwar voller Bitterkeit von der "Nabka" (Katastrophe), erinnert sich, wie im Zuge der Ausrufung des Staates Israel und des ersten israelisch-arabischen Krieges die - im Galle der Familie Jubran : christlichen - Palästinenser aus ihren Dörfern vertrieben wurden, doch kommt er, fast überraschend, zum Schluss, es sei allemall besser, als minderer Bürger in Israel zu leben, denn als rechtloser Flüchtling in einem der arabischen Nachbarstaaten. Und Kamilya beklagt die Zwiespältigkeit des Staates: Die meisten arabischen Ländr blieben ihr wegen ihres israelischen Passes verschlossen, während sie ihm Staat Israel als "Araberin" keinen Zutritt zum Westjordanland habe.
TELLING STRINGS macht in den intensiven Musikaufnahmen wie den Interviews auf unaufdringliche Weise nachfühlbar, wie gerade die mannigfaltigen Hindernisse, die dem Zugang zur angestammten Kultur entgegenstehen, die Rückbesinnung und Auseinandersetzung mit dieser Kultur zu einem wesentlichen Element der eigenen Identität werden lassen."
Martin Girod, Filmpodium Zürich
Historischer Hintergrund - Al Nakba, die Katastrophe von 1948
Um 1900 war Palästina zur überwiegenden Mehrheit von Palästinensern bewohnt, darunter 600'000 Moslems und 70'000 Christen auch 80'000 Juden lebten dort. Die Palästinenser lebten damals hauptsächlich von der Fischerei, der Viehzucht und der Landwirtschaft. Hauptprodukte Palästinas waren Getreide, Oliven, Zitrusfrüchte (mit Export nach Europa), Tabak und Wein.
Im November 1947 beschloss die UN-Generalversammlung die Teilung von Palästina, Jerusalem sollte einem besonderen internationalen Regime unterstellt werden. Die Palästinenser lehnten diese Teilung ab. Für sie war es undenkbar, ihr eigenes Land zu teilen und es erschien ihnen ganz besonders illegitim, dass den Juden, die einen Drittel der damaligen Bevölkerung ausmachten, 55 Prozent zugesprochen wurde. Die Zionisten stimmten der Teilung öffentlich zu, auch wenn sie nie bereit waren, sich daran zu halten.
Das Land ist in unsern Augen nicht das Land seiner jetzigen Bewohner...Wenn man sagt, dass das Land Eretz Israel das Land zweier Nationen sei, so verfälscht man die zionistische Wahrheit doppelt...Palästina muss und soll nicht die Frage beider Völker lösen, sondern nur die Frage eines Volkes, des jüdischen.
Ben Gurion 1937
Dem UN-Teilungsbeschluss folgten schon Anfang Dezember die ersten Angriffe und Terrorakte der Haganah auf palästinensische Dörfer und Zivilisten (Plan Gimmel). Das Land wurde zunehmend in militärische Auseinandersetzungen verstrickt. Am 14. Mai 1948 rief Ben Gurion die Gründung Israels aus, ein Tag bevor das Britische Mandat auslief. Tags darauf marschierten die umliegenden arabischen Staaten in Palästina ein.
Der erste arabisch-israelische Krieg endete mit einem Sieg der israelischen Streitkräfte. Es gelang ihnen, die Grenzen weit über die im Teilungsplan vorgesehenen Markierungen hinaus zu schieben - und sich der überwiegenden Mehrheit der Palästinenser zu entledigen: 418 palästinensische Dörfer wurden von der israelischen Armee zerstört, 800 000 900 000 Palästinenser/innen zur Flucht gezwungen.
Ich bin für einen obligatorischen Transfer. Es gibt zwei zentrale Aufgaben: Souveränität und die Reduzierung der Zahl der Araber im jüdischen Staat. Jene, die sich nicht anpassen können, werden das Land verlassen müssen.
Ben Gurion 1938
Bei Unterzeichung der Waffenstillstandsabkommen 1949 umfasste das israelische Staatsgebiet 78 Prozent der Fläche Palästinas. Auch Westjerusalem stand nun unter israelischer Kontrolle. Der ethnisch fast reine Staat zählte nur noch rund 150'000 Palästinenser/innen, die bis 1966 einem Militärregime unterworfen waren. Bis zu diesem Zeitpunkt lebten sie - wegen des Embargos zwischen Israel und den arabischen Staaten - in totaler Isolation.
Nur zwei Territorien entzogen sich dem israelischen Zugriff: das Westjordanland mit Ostjerusalem, das Jordanien 1950 annektierte, und der kleine Gaza-Streifen, der unter ägyptische Kontrolle geriet, aber selbst verwaltet blieb. Die Israelische Bevölkerung nennt ihn Befreiungskrieg. Für die Palästinenser/innen wurde der erste arabisch-israelische Krieg zur Nakba, zur "Katastrophe":
Die zionistischen Gruppen und später die israelische Armee begingen eine Vielzahl von Massakern, deren Dokumentation als Verteidigungsgeheimnis teilweise noch immer in den Archiven ruht. Die PalästinenserInnen wurden Opfer einer systematischen Vertreibungspolitik, die durch eine gewisse Konzeption von jüdischem Staat gerechtfertig wurde.
Alain Gresh, Israel-Palästina, die Hintergründe eines unendlichen Konflikts, Rotpunktverlag
Seit Anfang der neunziger Jahre ist eine Gruppe jüdischer Historiker und Schriftsteller bestrebt, die Mythen der israelischen Staatsgründung zu hinterfragen. Nur wenige gaben zu, dass die Geschichte der Rückkehr, Erlösung und Befreiung ihrer Väter auch eine Geschichte von Eroberung, Vertreibung, Unterdrückung und Tod ist.
Iron Ezrachi, jüdischer Schriftsteller in Le Monde Diplomatique, 16.12.97