Si pensava di restare poco

Si pensava di restare poco (Eigentlich wollten wir nicht lange bleiben)

CH 2003 72'

Regie: Francesca Cangemi, Daniel von Aarburg
Drehbuch: Francesca Cangemi, Daniel von Aarburg
Kamera: Pierre Mennel
Ton: Peter Conrad
Schnitt: Matthias Bürcher
Musik: Flurin Caviezel
Produktion: Rätisches Museum

Francesca Cangemi, Daniel von Aarburg 2003 72'


Eigentlich wollten sie nicht lange bleiben, trotzdem leben alle heute immer noch im Kanton Graubünden: EmigrantInnen der Ersten Generation aus ganz Italien. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs sind sie aus verschiedensten Gründen in die Schweiz ausgewandert. Sie stammen aus unterschiedlichen sozialen Milieus, arbeiten als Schuhmacher, Portier, Fabrikarbeiterin, Lehrerin, Koch, Coiffeur, Haushälterin, Missionar oder CEO. Ihre Geschichten sind ähnlich, und doch ganz verschieden.

"Jede dieser Geschichten wäre einen Film wert."
Bündner Tagblatt

"Vergangene Reisen der Hoffnung"
Die Südostschweiz

Zur Herstellung

Francesca Cangemi, selbst Seconda sizilianischer Abstammung, und ihr Ehemann, der Filmemacher Daniel von Aarburg, haben sich von 12 italienischen Ehepaaren und Einzelpersonen die Lebensgeschichte erzählen lassen. Auf Anregung des Direktors des Rätischen Museums in Chur, Dr. Jürg Simonett, und anlässlich der Schweizer Premiere von Dieter Bachmanns Fotoausstellung „Il lungo addio“. An einem Wochenende wurde mit den ausgewählten Zeitzeugen je ein einstündiges Interview auf Video aufgezeichnet. Zum Gesprächstermin mussten 20 Fotos eigener Wahl mitgebracht werden. Aus diesem Material wurde in der Folge ein DVD-Film von gut 70 Minuten Länge zusammengeschnitten. Als simples Dokument der Oral-History geplant, wurde der mit einfachsten Mitteln produzierte Film in Graubünden zu einem grossen Erfolg.

Die Produktion ist – hoffentlich im besten Sinne – Arte Povera: eine Selbstbeschränkung, die ihre Herausforderung darin findet, aus dem Vorhandenen das Beste zu machen.

Persönlicher Hintergrund

Francesca Cangemi:

"Obwohl ich in der Schweiz geboren wurde, erlebte ich die Schweiz lange Zeit als Provisorium. Zusammen mit den anderen EmigrantInnen hatten sich meine Eltern in der Fremde ein italienisches Biotop geschaffen, in dem auch wir Kinder aufwuchsen. Meine Eltern waren erklärtermassen nur vorübergehend hier, sie wollten zurück bevor die Kinder eingeschult würden. Diese Option einer Rückkehr hatte auch Einfluss auf meine schulische Laufbahn. Der Vorschlag der Kindergärtnerin, mich ein Jahr früher einzuschulen, kam meinen Eltern gelegen: ich hätte so bei einer Rückkehr nach Italien kein Jahr verloren. Alle Abklärungen befanden mich für schulreif, doch die Schulpflege empfahl meinen Eltern auf eine frühere Einschulung zu verzichten. Der Grund: bei späteren Problemen in der Schule hätten sie als fremdsprachige Ausländer der Tochter nicht helfen können. So fiel der Entschluss, mir in Privatunterricht zusätzlich auch den italienischen Primarschulstoff vermitteln zu lassen. So konnte einerseits mein Wissensdurst gestillt werden und ich war andererseits auf dem gleichen Stand wie Gleichaltrige in Italien. Fünf Jahre lang legte ich Ende Schuljahr auch die italienischen Prüfungen ab. Anfangs auf dem Konsulat in Chur, später in Zürich und die letzten beiden Jahre in einer Primarschule in Varese. Ich besitzte von meinen Primarschuljahren deshalb auch offizielle italienische Zeugnisse.

Es ist vielleicht einem Arbeitsunfall meines Vaters zu verdanken, dass wir heute immer noch in der Schweiz sind. Er musste sich mehreren Operationen unterziehen und danach war es irgendwie zu spät, nach Italien zurückzukehren Meine beiden jüngeren Brüder waren ebenfalls schon in der Schule und für meine Eltern war es klar, dass sie uns da nicht „herausreissen“ wollten.

Zum Problem wurde mir meine Zweisprachigkeit erst in der Kantonsschule. Ich begann mich zu fragen, in welcher Sprache ich eigentlich dachte und träumte. Beim Aufsatz-Schreiben kam mir jeweils die andere Sprache in die Quere: schrieb ich auf Italienisch, so kamen mir die passenden Redewendungen oder Ausdrücke auf Deutsch in den Sinn, und umgekehrt. Ich wünschte mir nur eine Sprache und wollte diese dafür durch und durch beherrschen. Diese Krisenzeit in meiner Pubertät wich dann aber der Ueberzeugung, dass es eigentlich ein Glück und nur von Vorteil ist, in zwei Sprachen und Kulturen verankert zu sein. Man nimmt sich von jeder, was man für gut und nachahmenswert befindet. So denke ich noch heute und bin meinen Eltern dankbar, für das, was sie uns mit auf den Weg gegeben und – unter grossen Opfern – ermöglicht haben.

Mit den Emigrationsgeschichten meiner Eltern und deren Freundinnen und Bekannten aus der italienischen Kolonie im Grossraum Chur bin ich aufgewachsen. Jede dieser Geschichten ist einzigartig und doch sind sie alle so ähnlich. Dieser Film ist sicherlich ein Schritt in Richtung Vergangenheitsbewältigung, auch für mich ganz persönlich.“

Daniel von Aarburg:

„Meine erste Erinnerung an Italien ist die kurvenreiche Strasse hinunter nach Genua. Sommerferien. Die Schweizer Kleinfamilie in ihrem Opel Kadett auf Italienreise. Der Vater verspricht seit über einer halben Stunde den allerersten Blick aufs Meer. Doch der will sich nie einstellen. Dafür eine Kurve nach der anderen. Der kleine Bruder lässt die Hoffnung schliesslich fahren und erbricht sich über den Rücksitz.

In der Primarschule dann nur wenige italienische Kollegen, dafür im Fussballverein umso mehr. Traumatisch: der italienische Coiffeur, der billigste in der ganzen Stadt, aber absolut kein Musikgehör für die angesagten Frisuren der Siebziger Jahre. Mit Mutters Geld in der Hand und ihrem Wunsch nach einer rassigen Sommerfrisur im Kopf um Gnade winseln: nur die Spitzen, bitte! Fünf Minuten später steht der Bub mit der ausrasierten Normfrisur vor dem Laden. Der Mutter wird's gefallen.

In der Mittelschule praktische Konsequenzen aus der Tatsache, dass Graubünden Grenzkanton mit italophoner Minderheit. Italienisch ist Pflichtfach. Anflüge von Italophilie: denn sie sind einfach die besseren Fussballer und auch immer ein bisschen eleganter angezogen.

Wenn man sich schliesslich in eine Italienerin verliebt, ist das am Anfang nicht immer einfach. Halbheiten gibt es keine und wenn man sie haben will, dann muss man sie ganz, mit aller Konsequenz und der ganzen Familie nehmen. Kirchliche Heirat inklusive, auch wenn man schon lange aus der Kirche ausgetreten ist. „Papperlappap Du bist getauft und kannst gar nicht austreten,“ geht der italienische Pfarrer über den diskret vorgebrachten Einwand hinweg und reicht das Eheprotokoll zur Unterschrift. Im Uebrigen bin ich der Meinung, dass ich grosses Glück gehabt habe und diese Arbeit soll auch so etwas wie eine Hommage an meine italienische Familie sein.“

Mit Adina Martenzini Bucceri und Giuseppe Bucceri, Marcella Palmara Pult, Luisa Picciau Suergiu und Mario Suergiu, Cecilia Troisio Primoceri, Santina Amato Isoppound Luciano Isoppo, Don Dante Baiguini, Antonietta Mastropaolo Vitarelli und Giovanni Vitarelli, Antonio Selitto, Gian Paolo Emilio Maria Nazzareno Galgani, Maria Piazza Cangemi und Filippo Cangemi, Rita Felderer Bonorand, Renata Piacentini Biondini.



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