Jour de marché

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Kritik in CINEMA


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Jour de marché (Markttag)

CH 2002 88'

Regie: Jacqueline Veuve
Drehbuch: Jacqueline Veuve, Lionel Baier
Kamera: Hugues Ryffel
Ton: Luc Yersin, Fred Kohler
Schnitt: Edwige Ochsenbein
Musik: Christine Chauve
Produktion: Ciné Manufacture CMS SA

Jacqueline Veuve 2002 88'

Jeden Dienstag und Samstag findet im Zentrum der kleinen waadtländischen Stadt Vevey einer der schönsten Märkte des Landes statt. Mit Begeisterung bieten Gemüsebauern, Pilzverkäufer, Fischer und Blumenhändler die Früchte ihrer Arbeit an und trotzen den Gesetzen des Welthandels.

JOUR DE MARCHE (MARKTTAG) ist ihnen gewidmet.

Kein Markplatz der Sensationen mehr

Von Christoph Egger, Neue Zürcher Zeitung

Spätestens seit dem Tod von Reni Mertens darf man Jacqueline Veuve Doyenne des Schweizer Films nennen. Und wie jene hat sie ihr Metier immer mit der grössten Selbstverständlichkeit betrieben. Während eine mittlere Generation irgendwie doch immer noch unter dem dreifachen Verhängnis zu ächzen scheint, als Frau in der Schweiz Filme machen zu müssen – und letztlich auch nie ganz vom "Frauenthema" wegkommt –, und während die Jüngste bereits professionell effizient Genrefilme realisiert, findet die Dokumentaristin Jacqueline Veuve, die nur selten Ausflüge in die Fiktion unternimmt, unbeirrt ihre eigenen Sujets. Alle ein, zwei Jahre kommt so mit bewunderungswürdiger Konstanz ein neuer Film von ihr heraus.

Es ist ein inzwischen beeindruckend umfangreiches Œuvre, in dessen Mittelpunkt vielleicht nicht von ungefähr die Arbeit steht, über die sich ihre Menschen konkretisieren. Immer aber ist es erfüllte, nie entfremdete Arbeit, der die Protagonisten ihrer Filme obliegen. Auch in JOUR DE MARCHE ist die Arbeit Grundlage der Existenz. Materiell, natürlich, indem man vom Erlös des Marktes lebt. Bei den meisten aber noch in jenem umfassenderen Sinn, der sich eben nicht einfach über Produktion, Distribution und Konsumption definiert, sondern wohl aus dem "organischen" Zusammenhang rührt, in dem hier angebaut und geerntet, die Ware präsentiert und verkauft wird.

Das hat etwas Altväterisches, und unübersehbar dominieren denn auch auf beiden Seiten der Marktstände betagtere Erscheinungen. Wenn aber ein leiser Hauch von Nostalgie über den Marktplatz von Vevey weht, wo die meisten Aufnahmen entstanden, so hat das nichts mit Sentimentalität zu tun. Der Film macht unmissverständlich deutlich, wie hart das Gewerbe ist und wie bescheiden die Einkünfte sind. - Charakteristisch für Jacqueline Veuves Filme ist ihr ethnologisch-volkskundlicher Blick. Ein Meister in dessen kinematographischer Umsetzung ist ihr langjähriger Kameramann, Hughes Ryffel. Dieses Interesse an den Dingen, den Abläufen, den Arbeitszusammenhängen führt dazu, dass wir die Porträtierten durchaus in persönlichen Momenten sehen, doch nie bei privaten. So sind ihre Menschen stets Individuen und Repräsentanten zugleich. Wie die uralte Dame oben am Berg, wo die Löwenzahnblätter erst spät wachsen und das Kaninchen im Griff ihres Sohns, des Mechanikers, ganz still hält, auch wenn die Bolzenpistole beim ersten Schuss versagt. Wie einen Handschuh streift er ihm hernach das Fell vorn Rumpf. Oder wie die alte Fischerin, deren Familie das Metier seit 1590 ausübt und die mit ihrem Mann in den Ferien in die Bretagne fährt, um Fischer zu sehen– und deren Kinder nun nicht mehr wollen. Der Tagesverdienst beläuft sich manchmal auf nur gerade 3 Franken 50, dennoch wissen Katze, Reiher und Schwäne, dass für sie etwas abfallen wird. "Sag neun Pfund, das klingt besser als viereinhalb Kilo", instruiert sie ihren Mann bei einem schönen Hecht.

Wie einige seiner Protagonisten ist auch der Film gern für ein Scherzchen zu haben. Etwa wenn er den alten, Pilzsucher als Hutzelmännchen im Gelände zeigt. wie es ganz cool sein Natel hervorzieht, um eine Bestellung aufzunehmen. Doch der Markt, das ist die Domäne der Frauen. Das bekommt der Alte vorn Blumenstand zu spüren, aus dem es plötzlich herausbricht: "Ça m'embête, le marché!" Den Grund für seinen Unmut haben wir kurz zuvor gesehen: Madame in fröhlicher Runde beim Damen-Kaffeekränzchen, während er zum Standhüten abkommandiert ist. Bei der schwarzen Früchteverkäuferin fragen wir uns einen Moment, ob sie nun aus Burkina Faso oder aus Kamerun stammt; dank weitreichenden Geschäftsverbindungen erhält sie offenbar eine weitverzweigte Familie am Leber.. was der Film zu einem Exkurs auf afrikanische Plantagen nutzt. Diese Malou ist es auch, die einer etwas abgerissenen Gestalt, die da Waren vom Boden aufliest und so einen momentanen Schatten auf die alles in allem eben doch behagliche Schweizer Idylle wirft, etwas vom Markttisch zusteckt.

Ein Epilog und kurzer historischer Exkurs, der an die Schrecken des Martinimarkts von ehedem erinnert, Rührt noch einmal vor Augen, dass die Zeiten des Marktplatzes der Sensationen vorbei sind. Ob auch die Tage des ganz gewöhnlichen Marktes gezählt sind? LE JOUR DU MARCHE scheint nicht allzu optimistisch.



18.225.95.87