Exit. Le droit de mourir
Visions du Réel Nyon 2005
Exit. Le droit de mourir
CH 2005 76'
Regie: Fernand Melgar
Drehbuch: Fernand Melgar
Kamera: Camille Cottagnoud, Steff Bossert
Ton: Blaise Gabioud
Schnitt: Karine Sudan
Produktion: Florence Adam, Les Productions JMH, Climage
Wir kennen weder den Tag noch die Stunde. Wenn uns eine mit Schmerzen und körperlichem Verfall verbundene Krankheit überfällt, blicken wir plötzlich dem Tod ins Auge. Was von unserem Leben übrig bleibt, wirkt furchtbar und beängstigend. Wie kann man sich selber und seinen Angehörigen eine langsame Agonie ersparen? Die Schweiz ist weltweit das einzige Land, wo Vereine wie EXIT sterbenden Menschen völlig legal Selbstmordbeihilfe anbieten. Seit über zwanzig Jahren begleiten ehrenamtliche Helfer Kranke und Behinderte auf dem Weg zu einem Tod ihrer Wahl, den sie für würdiger erachten. In diesem Dokumentarfilm gehen Begleiter und Begleitete den Tod direkt an: weder wie ein Tabu noch wie ein unzumutbares Ende, sondern wie eine Erlösung. Den zurückgelegten Weg beschreiben sie mit ihren Worten und Gebärden, mit ihren Überzeugungen und Zweifeln. In einer Gesellschaft, die dazu tendiert, alles zu kontrollieren, stellen sie uns vor diese ganz persönliche Frage: Ist die Wahl unseres eigenen Todes nicht unsere allerletzte Freiheit?
"Mit der Präzision der Aufnahmen, ihrer Situierung in Zeit und Raum, welche die Beziehungen zwischen den Figuren des Films beschreiben, gelingt es Fernand Melgar zu erläutern, warum und wie Menschen die Fäden, die sie am Leben erhalten, durchzuschneiden beschliessen. Es geht um Entscheidendes, nämlich darum, in der grossen Tradition des Cinéma direct im Einverständnis mit ihnen und ohne Verfälschung ihres Verhaltens direkt auf Menschen zuzugehen, die jenseits der allgemein gültigen Moral handeln und denken. In EXIT nach dem Namen der 1980 in der Westschweiz gegründeten und heute 10'000 Mitglieder im Alter zwischen 21 und 103 zählenden Vereinigung ist die Rede von Freiwilligen, die von Krankheit und Leiden erschöpfte Menschen bis zu ihrem bewusst gewählten Tod begleiten. Zwei verschiedene Bildebenen verleihen diesem Roman des Wirklichen die Dimension einer Initiation, deren kultureller und moralischer Horizont durch eine in Japan gedrehte Sequenz erweitert wird. Es gibt die fliessenden Einstellungen. Sie schmiegen sich den Bewegungen der Gespräche und Körper an, entschlüsseln das dringende Bedürfnis nach Komplizität und Mitgefühl zwischen den Menschen, welche die todbringenden Handlungen durchführen werden. Die Sequenz des Spaziergangs von zwei Sterbebegleiterinnen in einer dunstigen Landschaft mit gespensterhaften Bäumen ist stupend. Es gelingt dem Filmemacher und seinem Chefoperateur, in ihrem Gespräch die universellen Gedanken über Leben und Tod festzuhalten. Dieser Moment, der in einem von der Erinnerung an das Hin und Her zwischen den beiden Ufern durchzogenen Phantasieraum schwebt, gibt der Erzählung ihren beherrschten Rhythmus. Einer Erzählung, die ihren Zuschauer nie vor den Kopf stösst.
Und es gibt die festen, messerscharf kadrierten Einstellungen, welche die Strukturen eines Reichs von Generalversammlungen, Komiteeund Vorstandssitzungen ausloten, in denen die Reglemente, die Prozeduren, die den Akteuren von EXIT eigenen Körperhaltungen und Techniken zum Ausdruck kommen. Und darin liegt das Verdienst des Films, dass er gleichzeitig die Nähe des empathischen Blicks und die Distanz des ethnographischen Standpunkts herstellt, die bis ganz zum Schluss, bis zum äussersten Ende dessen, was Kino einzufangen wagen darf, einen moralischen Halt mit packenden ästhetischen und erzählerischen Werten gibt."
Jean Perret, Visions du Réél Nyon