Epoca
CH 2002 90'
Regie: Andreas Hoessli, Isabella Huser
Drehbuch: Andreas Hoessli
Kamera: Matthias Kälin
Ton: Kamal Musale
Schnitt: Isabella Huser, Andreas Hoessli, Kamal Musale
Musik: Peter Scherer
Produktion: Espaces Film GmbH
Was wird zu Geschichte? Was geht in die Erinnerung ein, was prägt die Konturen einer Epoche? Das 20. Jahrhundert. Bilder, wiedergefunden im Abfall der Geschichte. Historische Ereignisse, für die Zukunft inszeniert. Die Fragmente, Erinnerungen, unveröffentlichten Dokumente verschachteln sich, prallen aufeinander, widersprechen sich. Sie ergeben eine neue Darstellung, eine Dimension authentischer Nähe. Die Reise durch die Zeit streift die Entstehungsgeschichte der Atombombe, Militärprozesse am Ende des Krieges, die Funktionsweise des Lügendetektors, die Entdeckung des Todeslagers Majdanek. Sie gibt Einstein das Wort, dem Einbalsamierer von Lenin, dem KGB-Agenten, dem mutmasslichen US-Spion, der in der Sowjetunion eine neue Lebensgeschichte erfand. Ein Bericht im Dialog mit F., Soldat im Krieg in Jugoslawien.
"Machen die Passagen mit dem amerikanischen Material, in denen Hoessli und Huser mehrere Takes derselben Einstellung aneinander reihen, auf verblüffend einfache Weise deutlich, in welchem Mass Geschichte das Produkt einer Inszenierung ist, zeigen die Interviews vor allem die traumatischen Folgen, die Geschichtsprozesse für die Beteiligten mitunter haben die Sequenzen, in denen der kroatische Offizier und der Heckenschütze von den Alpträumen erzählen, die sie seit dem Ende des Bürgerkrieges verfolgen, gehören zu den stärksten des ganzen Films. Auf den ersten Blick scheinen sich dagegen die osteuropäischen Alltagsimpressionen Landschaften, Details, Bilder aus einem Konservatorium und einer Irrenanstalt nicht ganz so schlüssig ins Konzept zu fügen. Gerade durch ihre stark fotografische Qualität bilden diese ruhigen Aufnahmen, die mitunter wie Standbilder wirken, jedoch eine Art geschichtslosen Gegenpol zu dem übrigen, mit viel historischer Bedeutung aufgeladenen Bildmaterial.
Erwartungsgemäss liefert Epoca auf die grosse Frage nach dem Entstehen von Geschichte keine abschliessende Antwort. Als Essay hat der Film seine Stärke darin, dass er mit den ihm eigenen Mitteln erfahrbar macht, wie sehr jedes Geschichtsbild Ergebnis eines nachträglichen Arrangements von Dokumenten und damit notwendig ein Stück Fiktion ist."
Matthias Christen, Cinema Buch
"Welchen Sinn hat ein Dokumentarfilm über das Entstehen von Geschichte, fragt zu recht einer ihrer Interviewten. Schließlich bestimmen stets die Sieger, was offiziell von einer Epoche übrig bleibt. Die beiden Schweizer fassen trotzdem nach und präsentieren Bildmaterial, das in amtlichen Dokumentationen fehlt - vergessene Sequenzen, die irgend wann einmal aus einem Kontext fielen. Szenen von Gerichtsprozessen aus der Sowjetunion von 1930, nebst Urteilsverkündungen, der keine echten Anschuldigungen zu grunde lagen. Dennoch akzeptierten die Beschuldigten ihre Rollen, verhielten sie so, als stünden sie in einem Drehbuch. Die anschließende Hinrichtung jedoch, war sehr real.(...)Was ist wirklich und was identisch? Selbstverständlich gibt EPOCA keine Antworten. Der Film will dekonstruieren und über Bruchstellen raisonieren. Damit sich Zweifel regen und Zusammenhänge sichtbar werden."
Cristina Moles Kaupp, Spiegel
" Man darf den Bildern nicht trauen und der Inszenierung nicht glauben, so das uneingeschränkte Credo der beiden RegisseurInnen. Damit erteilen die beiden SchweizerInnen dem "Authentischen" eine klare Absage: Die authentische Geschichtsschreibung gibt es nicht und kann es nicht geben. Das Aufgeben des Anspruchs nach historischer Authentizität bedeutet aber gerade nicht Beliebigkeit. Im Gegenteil. Durch die bewusste und inszenierte Neukomposition diverser heterogener Fragmente - Bilder der Entstehungsgeschichte der Atombombe, Militärprozesse, Entdeckung des Todeslagers Majdanek, Interview mit einem Heckenschützen im Jugoslawienkrieg - entsteht eine neue Darstellung, ein neuer Blick auf so etwas wie Geschichte. Mit wenigen Bildern und mit noch weniger Worten zeigt so EPOCA sowohl die Geschichtsklitterung der Sowjets ("Eingemeindung" der jüdischen Opfer der Shoah in das Opfer der antifaschistischen Kämpfer Russlands), als auch die des Westens (Atombombe). Solche Filme suchen keine Antworten, sondern Fragen, und sie fordern die KinobesucherInnen zur aktiven Mitarbeit auf."
Querelles-Net