Monte Grande
CH 2004 80'
Regie: Franz Reichle
Drehbuch: Franz Reichle
Kamera: Franz Reichle, Matthias Kälin
Ton: Franz Reichle
Schnitt: Franz Reichle
Produktion: T&C Film
Wie können Körper und Geist als ganzheitliches Wesen existieren? Der chilenische Neurobiologe Francisco Varela beschäftigte sich von seiner Kindheit bis zu seinem frühzeitigen Tod mit dieser Frage. Die Struktur des Films basiert auf Varelas nicht-linearem Denken und fokussiert auf Autopoiesis, Ethik, Bewusstsein, Meditation und Sterben. Erzählt und reflektiert wird von ihm selbst, von seinen Familienangehörigen, von führenden Wissenschaftern, engsten Freunden und Denkern wie Seine Heiligkeit der 14. Dalai Lama, Heinz von Foerster, der Vater der Kybernetik, Jean-Pierre Dupuy, Evan Thompson, Anne Harrington, Humberto Maturana und anderen. Drei Kernthemen prägen den Film: die Beziehung zwischen Körper und Geist (Verkörperung), der Sinn persönlicher Verantwortung (Autonomie) und die Spiritualität.
"Franz Reichle hat einen außerordentlich dichten und sehr schönen Film gemacht, der gewiss einen konzentrierten Betrachter fordert, diese Konzentration aber auch befördert. Monte Grande ist dabei erst die Spitze des Eis- beziehungsweise des, wie es hier wohl heißen müsste, Großen Bergs. Das in jahrelanger Arbeit zusammengetragene Material erwies sich als zu reichhaltig für bloß einen Film."
Neue Zürcher Zeitung
"Francisco Varela war ein Genie der Synthese. Bewundert, umstritten und von dermitreißenden Leidenschaft eines begnadeten Forschers. Er hat die moderne Systemtheoriegenauso geprägt wie die Kognitionswissenschaft. Er war ein Freund des Dalai Lama und einunorthodoxer Anreger auf dem Parkett der internationalen Wissenschaftsszene. In dem Film von Franz Reichle - der Dokumentation eines Lebens im Angesicht des nahen Todes - kommt man Francisco Varela in einer Weise nahe, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Liebevoll und behutsam, berührend und klug wird hier die Geschichte eines Menschenerzählt, der sein Leben lang Brücken gebaut hat: zwischen westlicher Wissenschaft undöstlicher Weisheit, zwischen Neurobiologie und Philosophie, zwischen abstrakter Theorieund dem praktischen Leben. In diesem Film gelingt es, die Trennung von Wissenschaft undKunst zumindest für 80 beglückende Minuten wieder rückgängig zu machen."
Bernhard Pörksen
Autopoiesis
Die neue Bezeichnung von Leben, wie es die Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela definiert haben, ist Autopoiesis.
auto = selbst
poiesis = machen
autopoiesis = selbst machen, sich selbst machen, sich selbst kreieren
Die in der Menschheitsgeschichte vor allem von Weisen, Mystikern und Philosophen behauptete Einheit von Subjekt und Objekt, die untrennbare Ganzheitlichkeit des Seins, wird von Maturana und Varela nun auch mit naturwissenschaftlichen Forschungsergebnissen belegt.
Nach Auffassung der alten, darwinistisch geprägten Biologie überlebt ein Lebewesen nur dann, wenn es sich möglichst vollkommen seiner Umwelt anpasst. Es wäre damit sklavisch abhängig von einer objektiven Aussenwelt. Für Maturana und Varela gibt es jedoch keine objektive Wirklichkeit: wenn Grunderfordernisse des Lebens erfüllt sind, haben lebende Systeme von Heinz von Förster auch mit nichttriviale Maschinen bezeichnet, also auch Menschen alle Freiheit, sich ihre Welt selbst zu schaffen, anstatt nur auf Vorgegebenes zu reagieren. Das Subjekt ist somit entscheidend an der Schöpfung seiner nur scheinbar objektiven Wirklichkeit beteiligt.
Maturana und Varela entwickelten ein Systemleitbild der elementaren Lebensvorgänge sowie der Prozesse, durch die wir zu Wissen bzw. Erkenntnis gelangen. Durch dieses Systembild wird das Weltbild der Biologen und auch unser tradiertes Weltverständnis radikal umgewälzt. Es lässt uns erkennen, dass Kooperation und Toleranz, nicht Konkurrenz, Grundlage aller Lebensvorgänge sind. Die Welt, in der wir leben, ist eine Welt, die wir im Prozess des Erkennens gemeinsam erschaffen. Es liegt an uns, ob wir die in unserem biologischen Erbe angelegten Gesetze des Lebens erkennen und danach handeln oder ob wir sie verkennen und die Grundlagen unseres Lebens und unserer Menschlichkeit damit zerstören.
Text teilweise übernommen vom Goldmann Verlag, zur deutschen Ausgabe von Humberto Maturana, Francisco Varela: Der Baum der Erkenntnis die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens.
Komplementäre Wissenschaft als Grundlage der Ganzheitsmedizin. Vom Denken, dem Leben und Sterben des grossen Vordenkers Francisco J. Varela.
von Herbert Schwabl, Zeitschrift Schweizerische Ganzheits Medizin
Der Chilenische Wissenschafter Francisco Varela (1946-2001), ist vielleicht noch immervielen in der Ganzheitsmedizin Tätigen unbekannt1. Varela hat zwei grosse Entwicklungenmassgeblich beeinflusst: Zum einen revolutionierte er durch seinen mit Humberto Maturanaentwickelten Ansatz der autopoietischen Syteme die Systemwissenschaften und begründetedamit eine moderne Wissenschaft lebender Systeme. Zum anderen beeinflusste erwesentlich die Wissenschaft vom Erkennen, und plädierte für eine Wissenschaft die dasSubjekt miteinbezieht.
Die Frage Was ist Leben? führte Varela und Maturana zur Idee der sich selbstorganisierenden Systeme als autopoietische Systeme. Das sind Systeme, die fähig sind sichselbst auto zu erschaffen poiesis. Ein solches System ist operationell undinformationsmässig geschlossen. Es ist also nicht nur ein System, das seine eigenenmateriellen Bestandteile erschafft, es ist auch ein System, das sich selbst und der UmweltBedeutungen zuschreibt, sozusagen aus dem Nichts. Neben dem Prozess des Lebens wirdmithin auch der Schöpfungsakt erstmals in einer wissenschaftlichen Theorie begreifbar.
Wenn man anfängt, den Geist zu erforschen, untersucht man nicht mehr etwas, das dortdraussen ist, entfernt und abstrakt, obschon klar ist dass die Mehrzahl der Wissenschafterden Geist noch immer auf diese Art behandeln. Man untersucht vielmehr etwas, das letzlichjeder von uns selbst ist: das Ich, die erste Person. Varela war davon überzeugt, dass dieErforschung des Bewusstseins das Potential hat, eine bedeutende Revolution zu bewirkenbezüglich dessen, worum es in der Wissenschaft überhaupt geht, weil uns das auf wirklichdefinitive Weise über das klassische Bild von Subjekt-Objekt hinausführt, über dieBeschreibung eines abgetrennten Subjekts, die tatsächlich alles wegnimmt, was mit demeigenen Leben, genauer gesagt, mit der eigenen Verkörperung zu tun hat, und so eineAnalyse der Welt macht. Das ist natürlich das klassische Modell der Physik. Je mehr man dieLeute hinter den Experimenten entfernt, umso mehr ist es ein dritte Person Objektiv. Doch die Erforschung des Bewusstseins erfordert die Entwicklung von Erste Person-Methoden.Und diese Erste Person-Methoden bedeuten eine radikale Abweichung von der klassischenWissenschaft.
Varela hat damit für all jene, die in den komplementären Wissenschaften arbeiten, neuePfade beschritten. Es sind dies Wege, die so manchen unkonventionellen Ansatz beinhalten.Es ist auch ein Weg, der uns aufzeigt, dass sich Quer- und Mitdenken lohnt. Ein wichtigerAnsatz für sämtliche komplementären Wissenschaften, und gerade heute ist es so wichtig zubetonen: es ist die Funktion komplementärer Ansätze ausserhalb der ausgetrampelten Pfadeder technisierten Wissenschaft neues Terrain aufzubereiten und die Erkenntnisweiterzutreiben. Ein wichtiger Apell für all jene, die in der Forschung in derKomplementärmedizin tätig sind. Wir dürfen unser komplementäres Querdenken nichtweglegen, sondern sollten es kreativ und lebendig weiterführen.
Der neue Dokumentarfilm von Franz Reichle MONTE GRANDE what is life? beschreibt inkompakter Form das Leben und Denken Francisco Varelas. In den letzten Jahren seinesLebens durchlitt Varela eine Hepatitis C Infektion mit anschliessender Lebertransplantationmit immer wieder auftretenden Komplikationen. Der Film begleitet Varela bis zu den letztenPhasen seines Lebens. Der grosse Wissenschafter reflektiert in faszinierender Art über seinbevorstehendes Sterben und über transzendente Erkenntnis. Er kann allen an denwissenschaftlichen Grundlagen der Komplementärmedizin Interessierten herzlichstempfohlen werden.