Ausschnitt Ciné-Bulletin 308-381 Juni-Juli 2007 mit der freundlichen Genehmigung des Ciné-Bulletin
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VOD: Blick in die Zukunft

Die noch unausgereifte Frucht der voranschreitenden digitalen Revolution, das Video on Demand (VOD), wirft zahlreiche Fragen zur Zukunft der Audiovision auf. Im April wurden sie im Rahmen eines gut besuchten Seminars am Festival Visions du Réel in Nyon erörtert. Dort bestätigte die SRG die Lancierung ihres Angebots von Schweizer Filmen im Internet ab kommendem August. CB gibt einen Überblick über das aufkommende VOD – von der Wahrnehmung der Rechte bis hin zur Finanzierung des Kinofilms.

Von Mathieu Loewer

Das Video on Demand (VOD) breitet sich überall in Europa aus – in der Schweiz über BluewinTV. Am 1. August führt nun auch die SRG SSR idée suisse ein kostenpflichtiges Online-Angebot von Schweizer Filmen ein. Am Seminar über VOD, das artfilm.ch und Visions du Réel am 25. April in Nyon veranstalteten (siehe CB April 2007), kündigte die SRG den Abschluss eines Vertrags mit den Partnern des Pacte de l’audiovisuel an: Während einer sechsmonatigen Pilotphase machen die Websites der Landessender SF, TSR und TSI die im Rahmen des Pacte zwischen 1995 und 2005 produzierten Werke zugänglich. Zu Beginn werden es einige Dutzend sein, wobei 800 bis 1000 Kino- und Fernsehfilme – kurze und lange Spiel- und Dokumentarfilme – in Reserve sind. Mit der Zeit wird man all diese Filme zum Preis von 1 bis 7 Franken für 48 Stunden mieten können, allerdings nur in der Schweiz, nach einer möglichen Auswertung durch BluewinTV und sofern sie im Fernsehen ausgestrahlt wurden (siehe Mitteilungen auf Seite 30).

Der in der Generaldirektion der SRG SSR idée suisse für die TVProgrammangelegenheiten zuständige Alberto Chollet, Leiter dieses Projekts, möchte das audiovisuelle Kulturgut der Schweiz aufwerten und eine vollständige «Bibliothek» aufbauen. Mit einer Suchmaschine (nach Thema, Regisseur usw.) versehen, soll sie den Schweizer Filmen zu einem zweiten Leben verhelfen, auch jenen, die im Kino und am Fernsehen unbemerkt blieben. Der Cineast Romed Wyder, der als Präsident des Verbands Filmregie und Drehbuch Schweiz (ARF/FDS) nach Nyon eingeladen wurde, freut sich: «Es lag uns sehr am Herzen, dass dies jetzt und mit der SRG, die ein Service-public-Mandat hat, an die Hand genommen wurde. Alle Koproduktionen des Pacte werden auf den Websites verfügbar sein, wohingegen ein Privatanbieter wie BluewinTV sich nur für die erfolgreichsten Filme interessiert.» So wie die Marke Arte in Frankreich auf ihr Stammpublikum zählen kann, so sollte auch die Schweizer Produktion vom Renommée der Landessender profitieren können. Die SRG-Sender haben ihre eigenen Produktionen (Tagesschau, Magazine usw.) bereits kostenlos im Internet aufgeschaltet; ein Dienst, der von den Internet-Fernsehkonsumenten sehr geschätzt wird.

Ein praktikables Wirtschaftsmodell

Die SRG profiliert sich auf einem Gebiet, das eben erst von BluewinTV erschlossen worden ist, mit seinem Katalog von Filmen zum Mietpreis von 3.50 bis 6 Franken pro 24 Stunden. Noch ist BluewinTV der einzige Schweizer Provider von VOD für den Fernseher, doch die Antwort des Kabelunternehmens Cablecom wird nicht lange auf sich warten lassen. Diesen Komfort wird die SRG nicht bieten: Deren Filme sind für den Computerbildschirm bestimmt. Und im Internet stehen die Websites der Landessender in Konkurrenz mit anderen französisch-, deutsch- und italienischsprachigen Portalen. Zum Beispiel bietet ArteVOD rund 600 Titel an und hat auch die Rechte für die Schweiz erworben.

In Frankreich bewirkt die Konkurrenz einen Preissturz, der das Modell der Einzelvermietung oder des Einzelverkaufs gefährden dürfte. Wie auch Vodeo.tv (12.90 Franken pro Monat für einen unbeschränkten Zugang zum Gesamtkatalog!) haben sich mehrere Anbieter für Abonnemente entschieden. Die für Arte- VOD verantwortliche Agnès Lanoë hat die in Nyon anwesenden Produzentinnen und Produzenten gewarnt: «Beim Verkauf seiner Rechte muss man auf die editorische Politik des Unternehmens achten. Wenn es meint, Werbebanner seien rentabler als Inhalte, wird es die Preise senken. Wir sprechen hier vom kostenpflichtigen VOD – das die vernünftigste Lösung zu sein scheint, damit die Autoren und Produzentinnen entschädigt werden können –, während zahlreiche Portale das von der Werbung finanzierte VOD gratis anbieten. Ich kenne eine italienische Website, die für tausend Downloads gerade sechs Franken verteilt!» Das für die audiovisuelle Produktion selbstzerstörerische Modell der Vergütung über Online- Werbung ist nicht die ideale Antwort auf das illegale Herunterladen. Die Piraterie bekämpfen und gleichzeitig auf unentgeltliche Angebote setzen festigt die schlechten Gewohnheiten der Internetsurfer. Für Alberto Chollet ist ein attraktives Angebot gegen Bezahlung die beste Lösung, ähnlich wie in der Musikindustrie: «Die meisten Leute sind ehrlich. Sie ziehen es vor, einen angemessenen Preis zu bezahlen und das gewünschte Produkt zu guten Bedingungen zu erhalten. Man sollte das Publikum für die Frage des Urheberrechts sensibilisieren und den Jungen erklären, dass gewisse Dinge ihren Preis haben.» Im digitalen Zeitalter, da das Aufschalten eines Films oder eines Fernsehprogramms im Internet ein Kinderspiel ist, wäre es ratsam, den Piraten zuvorzukommen. Agnès Lanoë erwähnt die Dokumentarserie «Drogue et cerveau», die mangels kostenpflichtigem VOD auf der Gratiswebsite YouTube grossen Erfolg hat.

Wahre deine Rechte

Die Auswertung von VOD-Filmen fällt selbstverständlich unter das Urheberrecht. Gemäss dem Urheberrechtsvertrag der Weltorganisation für Geistiges Eigentum (WIPO), den die Schweiz noch ratifizieren muss, haben die Urheber das ausschliessliche Recht, die öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu erlauben, einschliesslich deren Zugänglichmachung in der Weise, dass sie öffentlich an Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind. Diese Definition wird in den Revisionsentwurf zum Bundesgesetz über das Urheberrecht (URG) übernommen, den das Parlament diesen Sommer diskutieren wird. Die Mitglieder von Suissimage und der Schweizerischen Autorengesellschaft (SSA) treten diese Rechte zur Kollektivwahrnehmung an ihre Verwertungsgesellschaft ab. Doch Corinne Frei von Suissimage erklärt, «dass es den Produzentinnen und Produzenten frei steht, Einzelverträge mit den VODAnbietern zu schliessen und die Preise für die Filme auszuhandeln, während die Urheber von ihren Verwertungsgesellschaften Vergütungen erhalten, die auf den mit den VOD-Anbietern ausgehandelten Tarifen beruhen.» (Siehe Mitteilungen auf Seite 32).

Im Rahmen des SRG-Projekts sieht der mit den Partnern des Pacte de l’audiovisuel unterzeichnete Vertrag nach Abzug der Betriebskosten eine Aufteilung der Einnahmen unter Betreibern, Produzenten und Urhebern vor. Doch die SRG fordert keine ausschliesslichen Rechte. Allerdings ist die bevorzugte Partnerin, das Fernsehen, mit zu berücksichtigen: «Wir haben diese Filme koproduziert und ausgestrahlt. Es wäre merkwürdig, wenn sie nicht in unserem VOD-Katalog figurierten. Vor allem die langen Kinofilme, die in anderen Portalen zu finden sein werden», sagt Alberto Chollet. Auf ArteVOD sind bereits die von Arte und SRG koproduzierten «Wer war Kafka?» von Richard Dindo und «Brother Yusef» von Nicolas Humbert und Werner Penzel sowie «Jeu» von Georges Schwizgebel zugänglich. Agnès Lanoë ist der Meinung, dass der Verbreiter seinen Platz in der Chronologie (oder «Kaskade») der Medien verteidigen muss: «Die Sender, deren Existenz durch VOD gefährdet ist, haben natürlich das Bedürfnis, jene Filme zu schützen in die sie investiert haben. Als Koproduzenten blockieren wir die Rechte für eine kurze Zeit, um das Werk nach der Ausstrahlung auf Arte im Rahmen von VOD auszuwerten.»

Als Garantie für die Respektierung dieser Rechte kann man dank «Geolokalisierung» den Zugang zu den Inhalten verweigern, wenn das Gebiet des Konsumenten nicht abgedeckt ist.

Weil sie die gesetzlich erlaubte Privatkopie verhindern können, gefährden die Systeme der digitalen Rechtewahrnehmung (Digital Rights Management – DRM) die Vergütung, die die Urheber für die private Vervielfältigung ihrer Werke erhalten. Da VHS und DVD am Verschwinden sind, sollte die Vergütung auf Festplatten in Aufnahmegeräten erhoben werden, doch der Tarif wurde von Geräteherstellern und den Konsumentenorganisationen angefochten und ist immer noch beim Bundesgericht hängig (siehe CB Dezember 2006).

Die Diktatur des Zuschauers

Das Seminar im Rahmen von Visions du Réel hat gezeigt, dass VOD insofern Befürchtungen auslöst, als es ein weiteres Element in der Entwicklung der «Konsumgewohnheiten» ist, die die audiovisuelle Landschaft verändern werden. Agnès Lanoë beobachtet bei den Zuschauern eine Verhaltensänderung, die auf Kosten des Fernsehens gehen dürfte: «Das Fernsehen wird immer ein Medium bleiben, das bei grossen Sportanlässen ein breites Publikum anzieht, aber die Vervielfachung der Angebote fördert den individuellen Konsum der Programme. Für Internetsurfer ist es völlig normal, Sendungen, die am Vortag oder vor zwei Jahren ausgestrahlt wurden, online zur Verfügung zu haben. Nicht wenige sagen, dass sie nicht mehr fernsehen!» Alberto Chollet sieht noch fern, dennoch ist er der Versuchung des VOD erlegen: «Ich habe es versucht, und es gefällt mir. Ich habe Filme entdeckt, von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Und meine Kreditkartenrechnung war gesalzen! VOD bricht mit der Tradition, dass sich alle gemeinsam zum selben Zeitpunkt ein Programm ansehen, und es stellt sich eine völlig neue Dynamik ein. Man darf nicht allzu nostalgisch sein. Dies ist nicht, wie man mir gesagt hat, ‹das Ende der Diktatur des Programmgitters›, das den Kern der editorischen Politik der Sender bildet. Sich leiten lassen, kann auch vergnüglich sein… Man geht immer noch ins Kino, also wird auch das Fernsehen für einen Grossteil des Publikums weiter bestehen.»

Finanzierung des Kinofilms

Kündigen die neuen Gewohnheiten der Zuschauer das Ende des Fernsehens an, so wie wir es kennen, und ist dessen Rolle als unumgängliche Koproduzentin gefährdet? Ohne Zweifel. Im Finanzierungsbereich werden die Karten ganz gewiss neu verteilt werden. Das war übrigens eines der Anliegen der Regisseure und Produzentinnen bei den Verhandlungen mit der SRG, erklärte Romed Wyder: «Zur Finanzierung eines Kinofilms muss man oft die DVD-Rechte verkaufen; nun werden es die VOD-Rechte sein. Wir haben deshalb vereinbart, dass die Filme nach der Auswertung durch BluewinTV auf den Websites der SRG angeboten werden.» Da ihre Zukunft auf dem Spiel steht, springen die Fernsehunternehmen bereits jetzt auf den anrollenden VOD-Zug. Der Anwalt und Vertreter des Schweizerischen Verbands der FilmproduzentInnen (SFP), Kai-Peter Uhlig, findet dies durchaus berechtigt: «Sie sind die stärksten Partner der Unabhängigen. Es ist durchaus verständlich, dass sie ein Vorrecht auf diese Rechte haben. Aber auch der Produzent muss sich fragen, in welchem Masse er den Verbreiter benötigt …»

Die in Nyon anwesende Verleiherin Hélène Cardis (Monopole Pathé) gab den Schweizer Produzentinnen und Produzenten zu bedenken: «Heute bieten die DVD-Rechte den Verleihern eine Existenzgrundlage. Aber in zehn Jahren gibt es keine DVD mehr, und man wird direkt vom Kino zum VOD übergehen. Wenn sich die Produzenten dann an die Fernsehunternehmen wenden, was bleibt uns übrig? Wenn ich mich also mit einer Minimalgarantie finanziell beteilige, muss ich alle Rechte bekommen. Wenn Sie nur mit den Kinoauswertungsrechten zu mir kommen, werden Sie mir eine Verlustgarantie auf die Lancierungskosten geben und meine Arbeit bezahlen müssen.»

Für Agnès Lanoë ist die Diskussion um die Minimalgarantie verfrüht: «Es herrscht ein richtiger Kampf um die VOD-Rechte, doch der Markt befindet sich erst im Embryonalstadium! Die Verkäufer von Computern und Internetzugängen sind heute die einzigen, die mit VOD Geld verdienen.» Die Entwicklung und die Auswirkungen von VOD auf die Ökonomie der Audiovision sind in der Tat schwer voraussehbar. Doch in Anbetracht so vieler Unbekannter beginnen die SRG und die Branche, sich die richtigen Fragen zu stellen.

Richtigstellung von Kai-Peter Uhlig

Es ist erfreulich, dass das Cinebulletin der VoD-Tagung in Nyon mit dem Beitrag der Juni/Juli-Nummer so grosse Beachtung schenkt. Allerdings möchte ich zwei Dinge richtigstellen:

1. Ich bin nicht der „Anwalt und Vertreter des Schweizerischen Verbands der FilmproduzentInnen (SFP)“ [S. 7, deutsche Fassung], und dies ist auch nicht dasselbe wie GARP (S. 9, französische Fassung). Vertreten werden beide Verbände durch ihre Vorstände und Sekretariate. Speziell für diesen Veranstaltung waren mit beiden Verbänden gemeinsame Standpunkte abgesprochen.

2. Keineswegs kann von einem „Vorrecht“ („préemption“) der Fernsehanstalten auf die VoD-Rechte der Produzenten gesprochen werden. Diese sind, im Gegenteil, frei verhandelbar. Allerdings haben Fernsehanstalten als starke Finanzierungspartner ein entsprechendes Verhandlungsgewicht. Nur dies habe ich dort gesagt, und etwas anderes wäre auch von Nachteil für die Produzenten.

Ausschnitt Ciné-Bulletin 308-381 Juni-Juli 2007 mit der freundlichen Genehmigung des Ciné-Bulletin
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